Montag, 15. Februar 2010

Hirtenbrief zum Beginn der heiligen großen vierzigtägigen österlichen Fastenzeit

+ Bartholomaios
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch dem ganzen Volk der Kirche
Gnade und Friede von Christus, unserem Erlöser,
von uns aber Fürsprache, Segen und Vergebung

Geliebte Brüder und Kinder im Herrn,

morgen beginnen wir die Zeit der heiligen, großen vierzigtägigen Fasten. In der Vesper der Vergebung, die wir heute abend singen, hören wir, wie der Dichter der Hymnen uns ermahnt: „Heiter lasst uns heute die Zeit des Fastens beginnen, zu geistlichen Kämpfen uns anschicken.“ Denn wir bereiten uns darauf vor, Tod und Auferstehung unseres Herrn zu begegnen.
Zunächst bedarf es also der Freude darüber, dass wir uns erfolgreich den geistlichen Kämpfen dieser Zeit der Andacht durch Reinigung und Aufstieg unterziehen zu dürfen. Das Fasten, die Enthaltsamkeit, der Verzicht, die Begrenzung der Begierden, das ausgedehnte Gebet, die Beichte und andere geistliche Übungen der großen Fastenzeit dürfen auf gar keinen Fall als unangenehme Pflichten, als untragbare Lasten oder als erzwungene Werke betrachtet werden, die Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit hervorrufen. Wenn Ärzte zum Vorteil der seelischen und der körperlichen Gesundheit Diät, Gymnastik oder andere Therapien verordnen, so ist das erste, was sie als unumgängliche Bedingung für den Erfolg verlangen, die Empfänglichkeit, die Gelassenheit und eine positive Einstellung des Patienten. Ähnliches gilt auch für die heilige Zeit des Fastens, die vor uns liegt. Die große Fastenzeit sollten wir als eine kostbare Gabe Gottes verstehen; als eine große Zeit der Gnade, die uns von allen stofflichen, herabziehenden und Todesgesinnung verbreitenden Leidenschaften befreien und zu der Gesundheit und Leben schenkenden Höhe des Geistes erheben will; als großartige Gelegenheit, unsere Seele von jeder schlechten Leidenschaft und unseren Leib von allem Überflüssigen, Schädlichen und Todbringenden zu befreien; also als etwas, was uns Mut und Freude verursacht. So erweist sich die Fastenzeit als ein wahres Fest und als ein wahrer Jubel.
Doch das Fasten, Geliebte, das die Kirche von ihren Kindern verlangt - die Selbstbeherrschung, die Schlichtheit, die Beschneidung der Begierden, der ausschweifenden Vergnügungen und der damit zusammenhängenden überflüssigen Ausgaben - ist besonders in diesem Jahr ein im Wortsinn heilsames Rezept. Denn in diesem Jahr leidet die ganze Welt unter einer schweren wirtschaftlichen Krise, die die unmittelbare Gefahr des Konkurses nicht nur von Privathaushalten und Unternehmen, sondern auch von ganzen Staaten überall in der Welt mit sich bringt. In ihrem Gefolge steigt die Arbeitslosigkeit in einem bisher nicht gekannten Ausmaß, entstehen ganze Heerscharen von neuen Armen, macht sich ein Klima der Hoffnungslosigkeit breit, geraten ganze Gesellschaften in Turbulenzen, wächst massiv die Kriminalität und geschieht sogar noch Schlimmeres als das. Die große Fastenzeit lehrt uns, täglich mit einem Minimum auszukommen und so dem Frevel der Maßlosigkeit, der Verschwendung und der Ruhmsucht zu entgehen. Trennen wir uns vom Geiz! Versagen wir uns dem Reiz der Werbung, die unablässig neue erfundene Bedürfnisse hervorruft! Lasst uns uns auf das unbedingt Notwendige und Unumgängliche beschränken und dem allen eine würdige, bewusste Selbstbeschränkung und Einfachheit entgegensetzen! Lasst uns nicht zu einer Herde von immer heißhungrigen, unbedachten und herzlosen Konsumenten verkommen, sondern lasst uns eine Gemeinschaft von wachsamen Menschen bilden, die dem anderen, unserem „Nächsten“, der Mangel leidet und in Not ist, in Liebe Raum geben und die Hand zur Hilfe reichen! Das Fasten lehrt uns darüber hinaus die Geduld und die Ausdauer in Situationen geringer oder großer Entbehrungen, aber auch die gleichzeitige, von großem Vertrauen auf Gottes liebende Vorsehung getragene Bitte um Gottes Hilfe und Erbarmen. Das ist das Fasten, wie Christus es will. So haben es alle Heiligen erfahren. So haben unsere frommen Väter gekämpft. So hat sie von alters her das Volk der Christen verstanden. In diesem Sinne empfiehlt und verkündet die Mutterkirche in Konstantinopel, die viele Anfechtungen erträgt und doch unablässig wachsam bleibt, die Fastenzeit in jedem Jahr, ganz besonders aber in der gegenwärtigen globalen Krise.
Indem wir dieses von unserem Sitz, dem Phanar, aus in Liebe und voller Verantwortung sagen, beten wir väterlich darum, dass wir alle die beginnende heilige Zeit mit geistlichem Segen und reichem Ertrag verbringen. 

Heilige Große Fastenzeit 2010
Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel
Euer aller inständiger Fürbitter bei Gott



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