„Vorweg will ich wieder unterstreichen, daß ich meinem Denken und Fühlen nach mehr Russe als Deutscher bin, Ich bitte aber zu beachten, daß ich deshalb Rußland nicht mit dem Begriff Bolschewismus gleichsetze, im Gegenteil ein offener Feind des Bolschewismus bin“, sagt Alexander bei der zweiten Vernehmung (26.02.43, S. 1) und zeigt, daß der Krieg mit Rußland ihn vor zwei Aufgaben stellte: einerseits „wie die Vernichtung des Bolschewismus möglich und die Verhinderung von Landverlust für Rußland möglich wäre“, und andererseits wie das deutsche Volk zu schützen sei: „Schließlich habe ich auch einen Teil deutschen Blutes in mir, das im gegenwärtigen Krieg massenhaft zugrunde gerichtet wird“. Ergebnis: „In der gegenwärtigen Zeit konnte ich mich also nicht damit begnügen nur ein stiller Gegner des Nationalsozialismus zu sein, sondern ich sah mich in der Sorge um das Schicksal zweier Völker verpflichtet, meinen Teil zur Veränderung der Verfassung des Reiches beizutragen.“ Hierbei gilt: „Was ich damit getan habe, habe ich nicht unbewußt getan, sondern ich habe sogar damit gerechnet, daß ich im Ermittlungsfalle mein Leben verlieren könnte. Über das alles habe ich mich einfach hinweggesetzt, weil mir meine innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat höher gestanden ist“ (26.02.43, S. 1 & ums.). Klar, ruhig, ausgewogen ist auch das eigenhändig am 8. März 1943 abgefaßte „Politische Bekenntnis“. Hier legt er dar, wie er sich eine Regierung vorstellt, die auf das Vertrauen des Volkes baut: sie soll „seine Führerin“ sein, aber den Willen des Volkes achten, die eigenen Fehler erkennen und korrigieren und folglich auch die Opposition anerkennen, die diese Fehler aufzeigt. Seine Überlegungen zur Rolle der „Intelligenz(schicht)“, die unbedingt mit dem Volk „verwachsen sein muß“, spiegeln russische Erfahrungen wider. Politik ist für Alexander sekundär, primär ist die geistig-ethische Dimension. „Ich bin deshalb auf keinen Fall ein entschiedener Verfechter der Monarchie, der Demokratie, des Sozialismus, oder wie alle die verschiedenen Formen heißen mögen. Was für das eine Land gut ist, sogar das beste, ist für das andere Land vielleicht das verkehrteste, das ihm am wenigsten entsprechende. Überhaupt sind ja alle diese Regierungsformen nur Äußerlichkeiten“ (Akte, S. 30). Was Rußland betrifft, so unterstreicht A. Schmorell „als Russe“ (wie mußte das für die Gestapo aus dem Munde eines Halbdeutschen klingen!), daß er das Zarentum für die beste, ja „die einzig mögliche Staatsform“ ansieht. „Ich will damit nicht sagen, daß die Staatsform wie sie in Rußland bis 1917 geherrscht hat mein ideal war — nein. Auch dieser Zarismus hatte Fehler, vielleicht sogar sehr viele — aber im Grunde war er richtig. Im Zaren hatte das russische Volk seinen Vertreter, seinen Vater, den es heiss liebte — und mit Recht. Man sah in ihm nicht so sehr das Staatsoberhaupt, als vielmehr den Vater, Fürsorger, Berater des Volkes — und wiederum mit vollem Recht, denn so war das Verhältnis zwischen ihm und dem Volk. Nicht in Ordnung war in Rußland fast die ganze Intelligenz, die die Fühlung mit dem Volke vollständig verloren hatte und sie nicht mehr fand. Aber trotz dieser todkranken Intelligenz, also auch der Regierung halte ich für Rußland als die einzige richtige Form den Zarismus“. Hiermit kontrastiert Alexander die Machtbesessenheit des NS-Regimes, die es unfähig macht, „reine Ausdrucksform des Volkswillens“ zu sein, „mit dem Volksdenken mitzugehen“. Man beachte: „Ich bin sogar geneigt, der autoritären Staatsform fast immer vor der demokratischen den Vorzug zu geben. Denn wohin uns die Demokratien geführt haben, haben wir alle gesehen. Eine autoritäre Staatsform bevorzuge ich nicht nur für Rußland, sondern auch für Deutschland. Nur muß das Volk in seinem Oberhaupt nicht nur den politischen Führer sehen, sondern vielmehr seinen Vater, Vertreter, Beschützer. Und das, glaube ich, ist im nat.soz. Deutschland nicht der Fall“. diese deutsche Regierung bezichtigt er, daß sie durch Gewalt Land ergreift und das eigene Volk an die Spitze anderer Völker setzen will. Nahezu wörtlich zitiert er F. M. Dostojevskijs eschatologisch-ethische Perspektive vom „erlösenden Wort“ (Christus in der Orthodoxie) aus dessen Puschkin-Rede (1880), wenn er schreibt: „Ein Volk ist wohl berechtigt, sich an die Spitze aller anderen Völker zu stellen und sie anzuführen zu einer schließlichen Verbrüderung aller Völker — aber auf keinen Fall mit Gewalt. Nur dann, wenn es das erlösende Wort kennt, es ausspricht, und dann alle Völker freiwillig folgen, indem sie die Wahrheit einsehen und an sie glauben. Auf diesem Wege wird, dessen bin ich sicher, schließlich eine Verbrüderung ganz Europas und der Welt kommen, auf dem Wege der Brüderlichkeit, des freiwilligen Folgens. Sie können sich vorstellen, daß es mich besonders schmerzlich berührte, als der Krieg gegen Rußland, meine Heimat, begann. Natürlich herrscht drüben der Bolschewismus, aber es bleibt trotzdem meine Heimat, die Russen bleiben doch meine Brüder. Nichts sähe ich lieber, als wenn der Bolschewismus verschwände, aber natürlich nicht auf Kosten des Verlustes so wichtiger Gebiete, wie sie Deutschland bisher erobert hat, die ja eigentlich fast das ganze Kernrußland umfassen… es ist direkt ein Verbrechen, wenn man seinem Vaterlande gegenüber in einem solchen Falle andere Gefühle entgegenbrächte. Das würde doch besagen, daß man ein heimatloser Mensch ist, irgendein internationaler Schwimmer, bei dem es sich nur darum dreht, wo es ihm am besten geht“ (Akte, S. 30-31 — Herv. v. A. Sch.). Auf der Innenseite eines Briefumschlages schrieb Alexander einen Brief nach Gatsk, an das russische Mädchen Nelli, das er dort im Sommer 1942 kennengelernt hatte. Der Brief erreichte die Empfängerin nicht — die Sowjettruppen waren bereits in Gatsk. Der Brief wurde aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt, wahrscheinlich vom Priester. Schurik schreibt in der alten russischen Orthographie und nennt sich „Sascha“, Hans Scholl — „Wanja“.