Donnerstag, 28. Oktober 2010

Dionysios Areopagita - ein Neuplatoniker (Teil 1)

von Priester Johannes Nothaas 

Seit die Werke des areopagitischen Dionysios im Jahre 533 auf einem Religionsgespräch in Konstantinopel in die Kirchengeschichte eintra-ten, hat der Streit um ihren Verfasser und ihren Inhalt nicht aufgehört und ist auch bis heute noch nicht ausgetragen. Es handelt sich bei diesem Autor um jenen wahrscheinlich sy rischen Theo--logen des ausgehenden 6. Jahrhunderts, der mit dem Pseudonym des von Paulus bekehrten Athe-ner Ratsherrn Dionysios seinen faszinierenden Schriften apostolische Autorität verleihen wollte. Zitierten die einen, so Thomas von Aquin und Albertus Magnus, den mysteriösen Verfasser direkt nach der Hl. Schrift, stellte das Mittelalter ihn an die Spitze der Väter, so galt er den anderen wie Laurentius Valla, Erasmus und Luther als ein Pseudotheologe und Fälscher.
 Dionysios Areopagita
Nachdem man in neuerer Zeit das Entstehen seiner Schriften nicht vor Ende des 5. Jh. geklärt hatte, bleibt dennoch die Fehde um die Inhalte seiner Schriften davon unberührt. Denn wer der Verfasser war, ist eine sekundäre Frage. Entscheidend ist, wie die Kir-che den Inhalt seiner Schriften beurteilt und in welchem Maße sie diese verwertet. Der heilige Maximos Confessor hatte schon auf dem latera-nischen Konzil von 649 die Rechtgläubigkeit der von Dionysios entwickelten Auffassungen vertre-ten und sie zur Anerkennung gebracht, und so be-gann ein beispielloser Einzug dieser Theologie in die Christenheit in Ost und West.

Einer der schärfsten Kritiker des Areopagiten ist kein Geringerer als Luther, der in seiner Schrift über die „ Babylonische Gefangenschaft der Kirche“ meint, dessen Bücher enthielten „mehr Platonismus als Christentum“, weshalb sie einem frommen Gemüte nicht zuträglich seien. – Damit sind wir beim Thema angelangt, das auch bis heute in der Theologie umstritten ist: Sind die Schriften des Theologen aus dem 6. Jahrhundert nicht doch ein christlich verhüllter Neuplatonis-mus?
Zur Klärung dieses Problems ist eine kurze Dar-stellung der Philosophie Platons sinnvoll und deren Wiederaufnahme und Erneuerung im 3. Jahrhundert n: Chr., was allgemein mit dem Na-men Neuplatonismus bezeichnet wird.

Die Philosophie Platos ( 427-347 v. Chr. ) mit ihrem Anliegen lässt sich anschaulich mit dem von ihm selbst erfunden Höhlengleichnis darstellen:
In einer Höhle liegen von Kindheit an gefesselt Menschen, die auf eine von einem Feuer er-leuchtete Wand blicken. Zwischen dem Feuer und ihnen bewegen sich Menschen, deren Schatten an der Höhlenwand erscheinen. Diese Schattenrisse gelten ihnen als Wirklichkeit. Wie erstaunt sind einige dieser Gefesselten, als sie aus ihrer Lage befreit die Menschen in der Höhle nicht mehr als Schatten, sondern real wahrnehmen können. Noch größer ist für sie der Eindruck, wenn sie Menschen außerhalb der Höhle im strahlenden Sonnenlicht in den natürlichen Farben erblicken können. Eine letzte Stufe höherer Wahrnehmung ist, die Sonne als Ursache aller Farben- und Formenpracht zu erkennen.
Das Gleichnis möchte die Stufen menschlicher Erkenntnis veranschaulichen. Es geht nach Platon darum, in der Philosophie den Menschen die Augen zu öffnen für die volle Wirklichkeit, die sich nach Platon nicht in der sichtbaren Welt erschöpft. Diese bietet in ihren Gegenständen
und Wesen nur die Abbilder der in einer jenseiti-gen Welt vorhandenen Urbilder. Nur Erkennt-
nis kann die Seele des Menschen befreien. Da-her ist nach Platos Auffassung nur der denkende und erkennende Teil der Seele unsterblich. Der Mensch lebt also in einem Zwischenbereich. Er ist weder in der Welt der ewigen Urbilder noch in der Sphäre der wesenlosen Schattenbilder ganz zu Hause.
Die Philosophie des Neuplatonismus, deren be-deutenster Vertreter Plotin (204 –270 n. Chr.)
ist, hat Platos Weltbild wieder zu neuer Geltung
verholfen. Platos „Ideen“, die „Urbilder“, wer-den bei ihm zu kosmischen Mächten. Sie verei-nen sich im göttlichen Weltengrund, der unge-teilt in allen Dingen lebt, zum „Ureinen“ (griech.: „to hen“ – das Eine ), das jenseits allen Begrei-fens ruht. Ziel des menschlichen Geistes ist es,
in der kontemplativen Versenkung mit diesem „Einen“, dem Weltengrund, eins zu werden Das Erlebnis dieser mystischen Vereinigung hat Plo-tin in eindringlichen Bildern geschildert: „Oft erwach ich aus dem Leibe zu mir selbst ... Dann bin ich mit der Gottheit eins geworden“.
Der Neuplatonismus wollte aber mehr sein als eine Philosophenschule. Er wollte eine Neubele-bung der heidnischen Religion, um der weltum-spannenden Anziehungskraft des Christentums entgegenzutreten. Der reformatorische Versuch des vom Christentum abgefallenen Kaisers Julian kam diesem Bestreben entgegen. Gegen den machtvollen Einfluss der Kirche mit ihrer Auto-rität wollte der Neuplatonismus eine konkur-renzfähige Konterreligion aufstellen. Eine auf göttlicher Autorität beruhende Lehre war nötig. Und so versucht man eine Korrektur des antiken philosophischen Ideals durch die Ergänzung durch einen phantastisch-transzendenten Über-bau. Nur zeigt sich dabei, dass abgestorbene Religionsformen nicht willkürlich wiederer-weckt und intellektmäßig angepasst werden können. Hieratische Allüren und theurgische Praktiken erscheinen allzu leicht als ein künstlicher Aufputz. So war es in Plotins System die Rückkehr des Menschen zum Höchsten, dem Ewigen und „Einen“- wie immer er auch das göttliche Wesen genannt haben mag. Dieses höchste Wesen „strömt gleichsam über“, und seine Überfülle schafft alles andere, die Welt. Das Bestehende ist auch bei Plotin ein Abglanz oder Schatten der stufenweisen Ausstrahlung des göttlichen Wesens. Das höchste Ziel des Men-schen und seine Glückseligkeit besteht darin, dass seine Seele sich mit dem Göttlichen, aus dem sie hervorgegangen ist, wieder vereine. Der Weg dahin führt über alles Denken und Be-wusstsein hinaus zu einem Zustand des be-wusstlosen, ekstatischen Eins-Seins mit Gott.
So hat sich der Neuplatonismus insbesondere in der Form, wie ihn der Philosoph und des Diony- sios Zeitgenosse Proklus vertreten hat, in vielen Punkten dem Christentum bis zur Verwechse-lung genähert: im Gebet, in der Askese, in der Ekstase und in der mystischen Union. In man-chen anderen Punkten mag er den christlichen Gegner sogar an Scharfsinn, Architektur und Leuchtkraft übertroffen haben. Doch der Stärke des Christentums mit seiner inzwischen ausge-bildeten liturgischen Tradition, seiner Hierar-chie, seiner verbindlichen Lehre und der Beru-fung auf eine seit dem 1. Ökumenischen Konzil von Nizäa definierte Offenbarung Gottes in der Gestalt des Kanons der Heiligen Schrift konnte auch eine religiös motivierte Philosophie nichts Gleichwertiges entgegensetzen.
Vor diesem geistigen Hintergrund erhebt sich nun die Frage: Gehört der von der Kirche heilig gesprochene Theologe Dionysios vom Ende des 6. Jahrhunderts auf die Seite des Neuplatonis-mus, des Proklus, aus dessen Werk er ganze Passagen übernommen hat? – Eine nähere Be-trachtung der ersten Kapitel seiner Schrift: „Die Namen Gottes“ soll dies klären.
Der Titel dieses Werkes enthält den Begriff „Namen“, der bei Juden und Christen eine viel tiefere Bedeutung hatte als die Bezeichnung eines Menschen. „Namen sind Schall und Rauch“, diese Auffassung, ein Produkt der Aufklärung, ist meilenweit von dem Namensverständnis der An-tike und des Alten Testaments entfernt. Dieses verbindet mit dem Aussprechen des Namens Gottes seine Zuwendung, seine Gegenwart. Aus Ehrfurcht vor der Person Gottes, wird daher in Israel der Name Gottes im Gottesdienst nicht ausgesprochen, sondern durch ein anderes Wort „adonaj“ (= Herr ) ersetzt. So bezeichnet der Name die Person in zweifacher Weise:
  1. der Bezeichnete ist gegenwärtig,
2. seine Gegenwart im Namen ist unsichtbar.
Mit dem Namen ist die Zugänglichkeit und die Unzugänglichkeit der Person Gottes erfasst.
Das Kriterium seiner Aussagen bindet Dionysios nicht an „Menschenvernunft“, sondern an „die Offenbarungen des Heiligen Geistes, der die Verfasser dieser Schriften( sc. des Kanons) er-leuchtete“ (585 B)..- Derjenige, der so die Hl. Schrift benutzt, ist kein Gelehrter oder Philo-soph. Hier spricht ein Christ. Er ist der vom Geist Erleuchtete, der ihn „ohne viele Worte und ohne viel Wissen dem Unsagbaren und Unkennbaren näher zu bringen“ vermag. Schonin diesem Satz begegnet uns ein unüberbrückbarer Gegensatz. Das „Unsagbare und Unkennbare“ einerseits und andrerseits das „Näherbringen“. Wie soll
das gehen, etwas zu erkennen, was unkennbar ist, „das jedes Fassungsvermögen unsres Ver-standes und Willens übersteigt“?. Zu erkennen gibt es da nichts! Es fällt hier ein anderes Wort, das an die Stelle von „erkennen“ tritt: (das Un-kennbare ! ), „dem wir uns nur einen können“. Das „Erkennen“ ist durch das winzige Wort „nur“ ausgeschlossen. Dies ist die entscheidende Aussage in diesem Abschnitt, sozusagen die Thematik der Schrift. .„Einen“ statt „erkennen“. Nun geht es dem Neuplatoniker auch um Ver-einigung mit dem Göttlichen, die Vereinigung durch Erkenntnis, durch Ekstase. Diese aber kann bei Dionysios nicht gemeint sein, wenn er sich vorher auf die Offenbarung Gottes durch den Hl. Geist in der Schrift beruft. So kann nur ein Christ reden. Ein deutlicher Gegensatz ! Wo die Philo-sophen Erkenntnis suchen, und sei es in ekstati-scher Praxis, da setzt der Christ Dionysios das „Einen“, die Vereinigung mit Gott, die im Sinne der Hl. Schrift nur sakramental gemeint sein kann.




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